"Wo auch immer Du hingehst, dort bist du."
Konfuzius
Meine Tochter Daphne und ich landeten in
Istanbul. Ein schwüler Abend. Reisestimmung, auch bei meiner Schwester und
ihrer Familie, die aus ihrem Mann Murat und ihrer Tochter Zeynep besteht. Es
sei alles eingepackt, sagte sie. Und der Kühlschrank leer, also auf zu einem
Restaurant.
Ein gigantisches Einkaufszentrum… Als
Murat, mein Schwager, in die Tiefgarage fuhr, rümpfte ich die Nase. Schon
wieder einer dieser pompösen Tempel des Konsums. Dieser war jedoch nur dem
Essen gewidmet: ein monothematisches Riesen-Oval, an eine Arena erinnernder
Gebäudekomplex, wo später am Abend Elvis im Wasser-Nebel „Jailhaus Rock“ sang.
In der Mitte ein großes Wasserbecken mit verschiedenen Fontänen, die
abwechselnd mit Musik und Feuer ein Schauspiel darboten; drum herum die Essensläden,
Restaurant an Restaurant aneinandergereiht, auf zwei Stockwerken. Von einfachen
Simit-Cafés, wo man Sesamkringel in allen Variationen bekam, bis zum teuren
Steakhaus und japanischer Küche: es war alles dabei. Was mich besonders positiv
stimmte, waren die Menschen. Klein, groß, mit vielen Kindern unterwegs,
schlendernd, Eis schleckend. Eine schöne Atmosphäre, um so den Urlaub zu
beginnen.
Versöhnlich stimmte mich am Konzept eine gewisse Einhaltung einer früheren Handelstradition. In alten Basaren sind
Anbieter bzw. Handwerker gleichen Berufsstands in einer Straße angesiedelt. So
war es für den Kunden einfacher, einen Überblick zu bekommen, über Markt und
Preise, für Handwerker ein besserer Wissenstransfer. Und so war ich überrascht,
dieses „AWM“, wie die Einkaufszentren in der Türkei abgekürzt werden,
monothematisch, heißt, nur auf Essen beschränkt, vorzufinden.
Diese Art von Ansammlung gibt es nach wie
vor in anderen Bereichen. Es gibt die Goldjuweliere, die in den Städten
nebeneinander in einer Straße oder in einem Straßenabschnitt zu finden sind.
Die Straße ist oft inoffiziell nach ihnen benannt, wie z. B. „Kuyumcular sokagi“,
die Straße der Juweliere, oder „Bakircilar sokagi“, die der Kupferflicker, die
es in kleinen Städten nach wie vor gibt, wo man von der Straße aus Kupfer
formenden oder kleine Handverzierungen machenden Meistern zuschauen kann. Diese
kleinen Läden sind für den Betrachter offen. Es gibt keine Trennung nach
Verkaufsraum und Arbeitsraum.
Wenn ich nach Istanbul fliege, dann bin
ich keine Touristin. Ich bin dann eine, die für eine kurze Zeit dort lebt. So gehe
ich morgens einkaufen, sobald ich dort eintreffe, in den zwei Wohnungen meines
Vaters, die von meinen Schwestern bewohnt werden. Da habe ich meinen Schneider,
dem ich zu reparierende Sachen vorbeibringe, da ist mein Friseur, der mir die
Haare schneidet und sonstige Schönheitsmaßnahmen vornimmt. Es ist ruhig dort,
trotzdem habe ich alles was ich für den Tag brauche. Ich möchte fast sagen, dass
man fast alle 100 Meter so einen kleinen Tante-Emma-Laden finden kann.
Wie rechnet sich das? Können sie davon
leben? Es ist nicht so, dass die großen Supermärkte sich dort nicht angesiedelt
hätten. An der alten E5, einer sechsspurigen Hauptstraße, die viele Bezirke
miteinander verbindet, die allerdings zu jeder Tageszeit verstopft ist, gibt es
einen „Carrefour“ wie in Frankreich, der alles hat, unter
anderem auch Textilien und Elektrogeräte. Diese Megasupermärkte haben die
kleinen Läden Gott sei Dank nicht verdrängen können und so ist es dort nicht
üblich, in der größten Hitze Wasser bei sich zu tragen wie in Deutschland. Man
kommt alle Naselang an einem Laden oder Kiosk vorbei, wo eine kleine
Wasserflasche - je nach Stadt - höchstens eine Lira kostet. Und so sagen die Istanbuler süffisant, ein
Kapitalist sei, wer eine Flasche Wasser für 50 Kurus verkauft und für die
Benutzung der Toilette 1 Lira nimmt. Rein für die Hälfte, raus für das Doppelte,
als hätte das Wasser im Körper eine Wertsteigerung oder Veredelung
durchgemacht.
Die Nacht war heiß und stickig, wie der
Sommer in Istanbul immer ist. Es wehte kein Lüftchen und obwohl die Häuser in
dem Viertel Bostanci nicht besonders hoch sind, kann sich der Wind nicht frei
bewegen. Und so verteilt er sich in kleinen Portionen, zwischen den Reihen der
vierstöckigen Gebäuden, unmöglich eine Briese für all die Menschen zu bieten,
die, wie ich, am Laken klebten, mit dem einzigen Wunsch, Schlaf zu
finden.
Stickig aber ruhig. Nicht mal die Hunde bellten. Auch wenn der Schlaf nicht kam in
dieser erdrückenden Hitze, verhielten wir uns ruhig, wartend, dass die Nacht
ein Ende hatte und wir aufstehen durften, denn wir wollten am frühen Morgen
aufbrechen, nach Amasra. Das war das einzige Ziel, das ich am Beginn der
Reise kannte. Alles andere sollte sich ergeben, während wir unterwegs sind.
Zumindest hatte ich keine Ahnung, wohin und wie wir dahin fahren würden. Alle anderen Orte,
die mein Schwager ausführlich ermittelt und die Anfahrt dazu berechnet hatte,
wollte ich nicht wissen. Ich wollte mich bewusst treiben lassen.
So machten wir uns auf den Weg, packten
alles in den Volvo, der immer wieder Anstalten machte durch merkwürdige
Geräusche, uns jedoch trotzdem weiterfuhr, bis zum Schluss, durch ganz
Anatolien und wieder zurück, nach Istanbul.
Aber alles der Reihe nach. Aus Istanbul
hinauszufahren ist nicht einfach. Die Stadt ist voll. Tag und Nacht sind die
Straßen, die dicken Adern, die sie mit der Welt außerhalb verbindet, verstopft.
So fuhren wir auch in dieser Morgenstunde mit 30 km/h in Richtung Şile,
um dort zu frühstücken. Autos, darin Menschen, Menschen ebenfalls an der
Straße, wartend, in überfüllten Bussen ein- und aussteigend. Rechts und links
der Straße Häuser, die sich mit den Jahren verändern, erneuern. Es entstehen
dann Glastürme, teilweise so hoch, dass ich laut fragen musste, ob das alles
Büroräume sind. Murat erzählte, dass viele als Wohnraum dienen und dass der
Kaufpreis sehr hoch sei. Und da zogen sie an mir vorbei, ein rot gefärbtes,
eins sich nach oben verjüngendes, zwei, die hoch oben durch eine Brücke
verbunden waren. Wer will da schon wohnen?
An den ausgefransten Säumen der Stadt
wurden die Bauten weniger; das Grün wurde hier sichtbar und nahm mehr Raum ein,
worauf nun das Auge durchs sanfte Morgenlicht ruhen konnte. Die
Gegend wird genutzt für die Landwirtschaft mit Kühen auf schiefen Ebenen,
Treibhäusern fürs Gemüse. Im Auto herrschte bisweilen Kinderstreit, der sich in
Übelkeitsattacken hineinsteigerte. Salzstangen halfen gegen Brechreiz, gegen
den Streit versuchten wir zu spielen, im Rahmen unserer Möglichkeiten, in einem
fahrenden Auto. Musik gehörte dazu. Wir hörten laute Musik. Zeynep, die Vierjährige
wollte ständig „Cuppa“ von „Tarkan“ hören.
„Cuppa“ war für uns Erwachsene OK, nach
dem Motto „Hauptsache Ruhe im Auto“, doch Daphne, meine 9-jährige Tochter,
wollte ihr Lieblingslied auch mal hören. Bevor wir in eine
erneute Eskalation des Streits gerieten, ging es mit dem Musikwunsch nun der
Reihe nach. Das war eine schöne Idee, denn so wollten wir Erwachsene Musik
aussuchen, die aus der jeweiligen Stadt oder Region kam, in der wir uns gerade
befanden oder auf die wir uns hinbewegten. So war das auf jeden Fall auch eine
musikalische Reise, die angereichert wurde von "Cuppa" und Ed Sheeran.
Von der Terrasse des Restaurants. |