Donnerstag, 15. November 2018

Taşköprü und Knoblauch






































Die Provinz Kastamonu ist berühmt für die besonders „grobe“ Betonung der Sprache; Kastamonu, dort, wo das Ende eines Wortes oder Satzes in ein U übergeht und dort, wo die Menschen mit Bären verglichen werden, weil es dort eben diese dichten und unbewohnten Laubwälder gibt, wo diese Tiere leben. Zwei meiner Tanten sind mit Männern aus Kastamonu verheiratet, nur kannte ich weder den Ort noch die Gegend. Der Wald ist wild aber zugleich auch von einem Grün, das nie wechselt, nicht reflektiert, nie anders wird, sehr gradlinig und konsequent ist in seinem Farbton. Kilometerlang das gleiche, einfache Grün der Bäume, das in der Sonne nicht heller wirkt. So ein dichter Wald, Blatt an Blatt ganze Berge entlang, wo nichts auf den Boden fallen würde, wenn der Herrgott etwas herunterfallen lassen sollte, waren meine Gedanken.

Da musste ich unweigerlich an Heredot denken, der behauptet haben soll, ganz Anatolien wäre so grün bebaumt, dass ein Affe, würde man ihn in Byzanz (heute Istanbul) auf einen Baum setzen, seinen Weg von Ast zu Ast bis zum Mittelmeer machen könnte, ohne jemals den Boden zu berühren. Viele sagen zwar, Heredot wäre jemand, der extrem übertreibt, wenn nicht gar ein Lügner war, doch in dieser Hinsicht hatte er vermutlich recht. Möglicherweise war das ganze Land so dicht bewaldet. Ich hatte an einer anderen Stelle gelesen, dass die Römer ganz Anatolien abgeholzt hätten, um Marmorblöcke besser transportieren zu können. Sie hatten diese auf Baumstämme gelegt und darauf gerollt. Das war die erste menschlich erzeugte Naturkatastrophe. Anscheinend waren sie hier in der Gegend nicht, oder nicht lang, die Römer.

Die Hitze draußen war unerträglich. Wenn ich es hier im Blog immer wieder erwähne, will ich es wiedergeben, was bei uns im Auto immer so das „Top-Thema“ war: „çok sıcak“, „sehr heiß“! Das ist der häufigste Satz, den man in der Türkei im Sommer hört. Doch im vergangenen Sommer hörte ich es ebenfalls in Deutschland und musste schmunzeln. Aber nun weiter mit der Reise. Es war sogar so warm, dass der Asphalt sich aufgelöst hatte. Wir verließen den grünen Berg und kamen auf eine Ebene. Die Autoreifen hinterließen tiefe Rillen auf dem aufgeweichten Belag. Aussteigen unmöglich. So fuhren wir eine Weile, bis wir aus Taşköprü den berühmten Knoblauch holten, der uns die ganze weitere Fahrt über begleiten sollte.





Taşköprü hat den Namen von einer alten Steinbrücke über einen kleinen Fluss, der vermutlich die meiste Zeit im Jahr ausgetrocknet ist. Seit meine Schwester auf Google gesehen hatte, dass dieses Knoblauch-Mekka sich auf unserem Weg befindet, erzählte sie, wie sie auf dem Wochenmarkt in Istanbul diesen berühmten Knoblauch gekauft hatte, der besonders dicke Zehen gehabt hätte. Sie beschloss einstimmig, dass wir auf jeden Fall von dem Knoblauch kaufen sollten, ein Mitbringsel für die große Familie. Wir fuhren dann von der Landstraße ab, Richtung Taşköprü, auf ein bereits abgeerntetes Plateau. Im Auto diskutierten derweil meine Schwester und ihr Mann, ob sie nun den Knoblauch vom Straßenrand nehmen oder direkt aus der Stadt kaufen sollten. Da entschieden sie, dass wir zum Dorf - denn es war keine Stadt, sondern ein größeres Dorf - hineinfahren. Wir fuhren aber gerade an der alten Steinbrücke vorbei, die wir überqueren mussten, um ins Dorfzentrum zu kommen. Eine kurze Aufregung seitens meiner Schwester, dass wir die Ausfahrt verpasst hätten. Mein Schwager fuhr weiter, wo wir etwas mehr als einen Kilometer entfernt die breite, neue Brücke sehen konnten, auf die dann mein Schwager rechts abbog. Kaum waren wir auf der Brücke, warf meine Schwester ein, warum wir nicht die alte Brücke nehmen, wenn wir schon hinfahren. Mein Schwager machte darauf einen U-Turn, um wieder auf die Landstraße zurück zu kommen, wo wir abgefahren waren. Da mischte ich mich ein, dass es doch unnötig sei umzukehren, schließlich liefe die alte Brücke nicht davon, wir hätten noch die Möglichkeit, den Rückweg über sie zu nehmen.  Mein Schwager umrundete den Kreisverkehr erneut, um wieder auf die Brücke zu kommen und schlussendlich über sie ins kleine Städtchen zu fahren.



Knoblauchernte, Quelle: Youtube

Infos-Link Tasköprü

In den Straßen herrschte gespenstische Ruhe. Wir fanden schnell den Umschlagplatz für den Knoblauch: eine weitläufige Fläche, vielleicht zwei Fußballfelder groß, wo Bauern ihre Ware an Großhändler feilboten. Noch war kein Betrieb. Nur ein Traktoranhänger stand am Straßenrand und wir fuhren zu ihm. Als wir die Autotüren öffneten, mischte sich die Höllenhitze mit Knoblauchduft. Ohne lange zu weilen, kauften wir von den drei Männern fünf Kilo erntefrischen Knoblauch. „Bitte die Knollen nicht in der Tüte lassen. Sie sind frisch geerntet und müssen noch atmen. Also, alle zwei Stunden an die Luft rausstellen!“ Der Rat des alten Bauern, der uns dann die Tüte mit dem Knoblauch mitgab.

Von dem Moment an wurde der Knoblauch unser Begleiter. Um die Geschichte an jedem Ort, den wir danach besuchten, nicht erneut erzählen zu müssen, fasse ich alle Ereignisse mit dem Knoblauch hier zusammen. An unserem nächsten Hotel hatten wir französische Fenster, die bis zum Boden ragten und draußen ein Geländer hatten. So war das perfekt für den Knoblauchsack, der die Nacht nicht im Auto bleiben konnte. Er reiste mit uns ins Hotel. Am zweiten Hotel, wo wir nachts mit kühlem Regen ankamen, hatten wir diese Möglichkeit nicht. Auf das Zimmer wollten wir ihn nicht mitnehmen. So baten wir den jungen Rezeptionisten um Hilfe und er deponierte ihn in der Hotelküche. Spätestens jetzt wird sich der Leser fragen, ob wir nichts gerochen haben. Fünf Kilo Knoblauch, dessen Lauch noch feucht war, das riecht. Anfangs war der Geruch im Auto sehr stark. Doch mit der Zeit verschwand er, worüber wir uns selber wunderten. Das war allerdings ein Trugschluss, denn die ganze Familie rümpfte die Nase, als wir nach drei Tagen und zwei Nächten in Begleitung der Knolle endlich bei uns im Dorf ankamen. „Alles stinkt, ihr stinkt bestialisch!“, sagten sie. Wir hielten es jedoch für sehr übertrieben. Wir selber rochen nichts. In Taşköprü haben wir den Geruch selber sehr stark wahrgenommen. Die Luft roch danach, als wir aus dem Auto ausstiegen. Und es stimmte nicht, dass die Zehen besonders dick waren. Im Gegenteil, dieser Knoblauch hatte besonders kleine Zehen, dafür war er sehr scharf und aromatisch und intensiv im Geschmack. Meine Schwester wurde eindeutig auf dem Wochenmarkt betrogen. Immerhin hat dieser Betrug uns dieses wundervolle Reiseerlebnis beschert.


Das Lied "yesil ördek" war eines der Lieblingslieder der Kinder. Vermutlich weil es darin eine grüne Ente geht. 

Nachdem wir über die neue Brücke eingefahren waren, nahmen wir auf dem Rückweg die alte Steinbrücke und verließen Taşköprü. Die Hitze war so unerträglich, dass die Kinder freiwillig im Auto bleiben wollten, wenn wir anhielten, um vom Meer oder der Gegend Fotos zu machen.


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