Freitag, 22. Februar 2019

In meinem Dorf










Während dem einwöchigen Aufenthalt im Dorf gönnten wir uns etwas Ruhe. Hier machten wir lange Spaziergänge, unter anderem auch in der Nacht. Im Dorf gibt es keine Lichtverschmutzung und die Nacht ist richtig dunkel. Mit der Taschenlampe in der Hand zu laufen ist für einen Erwachsenen schon ein Nervenkitzel, weil man sich so herrlich hineinsteigern kann. Häuser gibt es auf der Strecke selten, dafür Geräusche, die man nicht einordnen kann. Dazu streifen Grashalme - zumindest hofft man, dass es Grashalme sind – an den nackten Waden. Die Kinder - zu unseren beiden kamen auch die zwei Söhne meiner anderen Schwester - waren ganz aufgeregt, erzählten sich Geschichten von Freddy Krüger. Außerhalb der Lichtkegel der Taschenlampe sahen wir Glühwürmchen.
Das besonders schöne hier im Dorf ist, dass es sich hier nicht viel verändert hat. Und jedes Mal, wenn ich da bin, ist es wie eine Reise in meine eigene Kindheit. Das ist beruhigend. Auch wenn sich die ganze Welt wandelt, die Gerüche, die Erinnerung im Dorf bleiben gleich. Der schönste Moment ist, wenn ich mich ans Fenster stelle, das die Sicht ins Tal zeigt. Der Dorfkern liegt im Tal, am Fuße des Flusses. Als die Population wuchs und der Platz eng wurde, hatte man weiter am Berg gebaut. So wurde mir berichtet, dass die Lieblingssöhne einer Familie den Besitz am Fluss vererbt bekamen; die weniger liebsamen schickte man in die Wildnis. So war das hier bis zu den Zeiten des Teeanbaus. Eine Gegend mit viel Niederschlag und kaum gerader Fläche, abgesehen von dem Flusstal. Und es wächst hier außer Mais und Kohl nichts. Viel Wald und viele Tiere hatten sie. Das traditionelle Essen ist entsprechend; es wird beherrscht von Maisbrot, Schwarzkohl und Fisch, wobei hier nur zwei bestimmte Sorten häufig vorkommen. „Hamsi“, eine Art Sardelle und „Palamut“, eine Bonito-Art, die es nur hier im Schwarzmeer gibt. Der Fisch wird im Herbst und Winter aus dem Meer geholt, dann in Salz eingelegt. Daraus machte man allerlei verschiedene Gerichte, die ich zwar liebe, die jedoch nicht jedermanns Geschmack sind. Eins davon ist das berühmte „Hamsikoli“. Man kann das mit frischem „Hamsi“ zubereiten oder aber mit in Salz eingelegten. Letztere müssen allerdings vorher gut gewässert werden.



Der Fisch wird dazu entgrätet, dann mit kleingeschnittenem grünem Gemüse, wie Porree und Mangold gemischt. Dazu kommt Maismehl, Olivenöl, Ei, Salz und Pfeffer und es wird ein flüssiger Teig hergestellt, der dann im Backofen gebacken wird. Herrlich! Gegessen wird es mit frischen kleinen Gartengurken.
Dieses Essen ist eben speziell, weil für viele Speisen das gepökelte Innenfett von Schafen benutzt wird. In dieser Gegend gibt es keine Ölbäume und somit war Olivenöl teuer und immer von außen zu beziehen. Daher war die Verwendung von tierischem Fett gebräuchlicher. Und das gepökelte Fett riecht streng und hat einen eigenen Geschmack, der mir bei den traditionellen Gerichten fehlen würde, aber Vielen den Magen umdreht. Es gibt keine Wurstkultur, jedoch es gibt „Kavurma“; gekochtes Rindfleisch, das für den Winter in Büchsen aufbewahrt wurde. Und mit „Kavurma“ veredelte man so manches Gericht. Dazu gab es alles, was die Kühe sonst noch so hergaben. Butter und Käse, meist als „Minci“, eine Art trockener, körniger Frischkäse, der aus gegorener Milch gemacht wird und in Stoffbeuteln zum Trocknen aufgehängt wurde. Und wollte man, dass er länger hielt, so legte man ihn zwischen zwei Steine, sodass er stark entwässert wurde.
Sobald genügend Milch da war, baute Oma im Flur, der allerdings breit war wie ein Zimmer, das Butterfass auf. Es sah aus wie ein Weinfass und wurde längst auf zwei Schlingen an die Decke der Diele angebracht. Rein kam die lauwarme Milch und Oma nahm an der Kopfseite Platz und schaukelte und schlug die Milch so lange, bis sie sich in Butter und Buttermilch aufteilte. Es war für uns Kinder schön zu beobachten, wie die Butterklümpchen erst ganz klein und dann immer größer wurden. Schließlich öffnete Oma den kleinen Deckel oben auf dem Bauch des Fasses, holte mit einer Holzkelle die großen Butterklumpen raus und tat sie in eine Salzlake. Dann drehte sie das Fass um, und lies die Flüssigkeit in einem großen Kessel hineinfließen. Wir freuten und auf diese köstliche Buttermilch.







































Es ist mir etwas aufgefallen, das mir durch meine Lektüre Ovids Metamorphosen deutlicher wurde. Die Erzählkunst, die mit dem Munde gesprochene, wohlgemerkt. Die alten Frauen, zumindest einige davon, beherrschen das brillant. Darin sind nicht nur Spannung und Hinauszögern der Geschichte enthalten, sondern ebenfalls die verschiedenen Nuancen. So wird an einer Stelle ein Wehklagen eingebaut, um die Dramatik der Aussichtslosigkeit zu erhöhen. Dieses Wehklagen, unterstützt mit heftigen körperlichen Bewegungen, lässt an Theaterkunst erinnern. Eine von ihnen, ich will jetzt bewusst keinen Namen nennen, um andere zu verärgern, ist darin besonders geübt. Von ihr kann ich sogar alte Geschichten immer wieder gerne hören, weil sie darin aufgeht. Sie verwandelt die Stimmlage, ihre Mimik verändert sich, wird sanft und zu Tode verängstigt, wenn sie ihre Situation in dem Moment beschreibt, die sie im Hause ihrer verheirateten Tochter erlebte, als der gewalttätige Schwiegersohn die Tochter immer wieder krankenhausreif schlug. Sie wird vor Augen der Zuhörer zu dieser verängstigten Frau, die nachts nicht schlafen konnte und in die Küche ging, um aus dem Fenster zu schauen, ob bereits der Morgen ergraut. Ihre Augen gehen der Reihe um. Jeder ihrer Zuhörer und Zuschauer wir einzeln davon überzeugt, dass ihre Tat lediglich die war, die zugezogene Gardine des Küchenfensters nur aus diesem einen Grund verschoben zu haben. Sie wollte doch nur wissen, ob der Muezzin bereits zum Morgengebet ausgerufen hatte.
Woher hatte sie das gelernt? Diese Erzähltechnik, diese Kombination aus allem, dieses Einsetzen der Mimik, die sich sekundenschnell ändern konnte, die auf Fragen aus dem Publikum einging, die so gut war, wie ein Schauspieler es so nie wird erlernen können. Ein Naturtalent, oder hatte sie es irgendwem abgeschaut? Das Wehklagen der Weiber hatte ich bei Ovid gelesen. Es muss sie immer wieder gegeben haben, und es gibt sie, wenn auch nur vereinzelt, nach wie vor. Diese alten Frauen im Dorf haben diese Kunst verinnerlicht und womöglich konserviert, wenn sie sonst kein Ventil haben, ihren Gefühlen oder dem erlittenen Leid Ausdruck zu verleihen.
Die Frauen hatten wahrlich kein einfaches Leben gehabt. Aber, da sie kein anderes kannten, schätzen sie sich durchaus glücklich. Ich will nicht sagen, dass ihr Leben derart bedauerlich war, auch wenn es von meiner Perspektive aus durchaus so erscheinen mag. Ist es das Leid, das diese Erzählkunst entstehen und kultivieren ließ? Oder ist es die Gabe, die das Leiden hervortreten lässt, den Charakter in diese Richtung zementieren lässt? Ich werde es nicht wissen. Stattdessen höre ich deren Erzählungen und den gelebten Sagen zu.
Es gibt aber auch andere alte Frauen, die zwar in den jungen Jahren alle erdenkliche Bosheit am eigenen Leib erlebt haben; von ihren Männern oder von ihren Schwiegereltern, doch im Alter kehrt sich das um. Meistens überleben sie ihren Ehemann und sind dann selbst die Herrscher des Clans. Sie wohnen mit den verheirateten Söhnen und dessen Familie zusammen, Haus und Hof im Dorf gehört ihnen. Und so tun sie nichts anderes mehr als in der Morgensonne vor die Tür zu treten, mit langsamen Schritten, durch Zuhilfenahme eines Gehstocks, sich gegenseitig zu besuchen und über die Wehwehchen zu klagen, und auch den Tratsch des Dorfes weiter zu verbreiten. Und wenn dann so eine wie ich zu Besuch kommt, und die alten Geschichten erzählt haben möchte, dann blüht diese alte Dame erst richtig auf. Sie lässt mich teilhaben an ihrem Reichtum. So manch einer der Zuhörer in der Runde mag sich durchaus gelangweilt fühlen, weil sie diese Geschichten bereits so oft gehört haben. Da müssen sie durch. Ich ermutige sie, sie mir immer wieder zu erzählen, weniger wegen des Inhalts, denn dieser ist inzwischen auch mir bekannt, vielmehr wegen der wahrhaftig großartigen Erzählkunst.



Der Abschied vom Dorf ist nicht besonders schwer. Meist bin ich nie länger als eine Woche da. Und jedes Mal denke ich, eine Woche ist so kurz, ich sollte länger bleiben. Die ersten Tage sind voller Enthusiasmus. Ich will jeden Winkel der Wege und das unbeschreibliche Grün in mir aufsaugen und für die Zeit des „Nichtdaseinkönnens“ speichern. Wie ein Fotoapparat knipse ich Bilder für mich, atme die Luft tief ein, die nach frischem grünen Tee riecht; speichere den Sound des Regens, der von den Zinnen auf breite Blätter hinuntertropft und auf achtlos weggeschmissene oder liegengebliebene Gegenstände trommelt, sammle die Erinnerung an kühle Abende, wie ich abwechselnd mein Gesicht und meine Fußsohlen an dem Küchenofen „Kuzina“ erwärme; horte den Blick des Hundes Eşkiya, seine lautlose Freude, wenn man sich seiner annimmt, ihn streichelt, mit ihm spielt, ihn füttert, oder mit ihm einfach einen Spaziergang macht. Eşkiya bellt niemanden an, der hier lebt, doch er verscheucht Wildschweine und Schakale, die sich oft in die Nähe der Häuser wagen, um schnelles Futter zu finden. All das ist nichts Besonderes, doch für mich das, wonach ich mich von Zeit zu Zeit sehne und mir dann immer wieder diese Eindrücke hervorrufe und mich an ihnen erfreue. Doch die anfängliche Freude, Begeisterung, Rührung nimmt mit der Dauer des Aufenthaltes ab. Alles, auch eine Wiederholung des Guten, ist zu viel. Und so vergehen die restlichen Tage mit Warten auf den Abschied. Wie kann man von allem, was man so sehr liebt, so schnell satt werden? Man sollte darin unersättlich sein, denn dann könnte ich jeden Tag aufs Neue alles genauso genießen wie am ersten Tag.










































Ajda Pekkan (für dich, nicht weil ich sie mag, aber du, weil du) "Kimler geldi, kimler gecti"


Donnerstag, 7. Februar 2019

Batumi ბათუმი



Wohnhaus in Batumi

















Unser Dorf Mişona liegt in 400 Metern Höhe auf einem kleinen Berg, ganz in der Nähe der Provinzhauptstadt Rize. Früher, als mein Vater noch ein Kind war und keine Autostraße zum Dorf existierte, da liefen die Bewohner zu Fuß in die Stadt. Dazu mussten sie von unserem Dorf aus erst bergab und dann wieder einen ähnlich hohen Berg überwinden, denn erst dahinter war die Stadt. Es gab Fußpfade auf dem kürzesten Weg hin, im Gegensatz zur heutigen Autostraße, die zunächst vom Dorf hinunter zur Flussebene führt und dann am Meer entlang in die Stadt, die ebenfalls direkt am Meer liegt. Heutzutage läuft niemand mehr zu Fuß. Alle fahren mit dem Auto und die alten Pfade liegen brach. Ich hatte es mal gewagt, den alten Weg vom Fluss hinauf zum Dorf zu laufen, den ich als Kind mit meiner Oma immer gegangen war; nur war er verschwunden. Da, wo ich ihn vermutet hatte, wuchs die Vegetation, wucherte das wilde Grün.

Mein Dorf ist für Fremde nicht interessant. Es gibt dort keine Sehenswürdigkeiten, nicht mal das Wetter ist schön. Es regnet sehr viel und sehr häufig. Ich hatte nur einmal das Glück, dort in einem einwöchigen Urlaub im Meer zu baden, wobei man sagen muss, dass das nicht immer am Wetter lag. Es ist schwierig, mit vielen Erwachsenen und etlichen Kindern erstens einig zu werden und zweitens so ein Vorhaben wie „zum Meer“ zu fahren in die Tat umzusetzen. Oft lag es an der Organisation, seltener am Wetter.

So haben wir beschlossen, nach Batumi in Georgien zu fahren. Es gibt eine offene Grenze, sodass die Bevölkerung beider Länder ohne Pass die andere Seite besuchen kann. So machten wir uns mit dem Auto auf den Weg, parkten den Wagen auf der türkischen Seite und gingen zu Fuß rüber. Drüben gab es eine große Geschäftigkeit und jede Menge Möglichkeiten, weiter ins Landesinnere zu reisen. Selbst die Sprache war kein Problem, denn viele können dort Türkisch und auch recht gut Englisch. So fanden wir ein Großraumtaxi, das uns, fünf Erwachsene und zwei Kinder ins Stadtzentrum fuhr. Der ältere Fahrer stammte aus der Türkei, ein „Laz“, so wird die Menschengruppe bezeichnet, die neben dem Türkischen auch Georgisch sprechen.



An der Grenze zu Georgien


Was ich lange nicht wusste, dass eben hier, in dieser Region der Türkei, an der östlichen Schwarzmeerküste, drei weitere Sprachen gesprochen werden. Dazu gehören die „Romeika“, also das „Pontus-Griechisch“, „Hemşin“, ein Armenischer Dialekt und „Laz“, was ebenfalls eine Mundart des Georgischen ist. Ich selbst kann leider keine weitere Sprache, doch auch in meinem Dorf gibt es vereinzelt Wörter aus der „Romeika“. An der Grenzregion zu Georgien ist die Sprache identisch. Der einzige Unterschied ist, dass die Bevölkerung auf der türkischen Seite Moslems sind und auf der anderen Seite Christen. Seit Eröffnung der Grenze in den 90igern des vorigen Jahrhunderts herrscht ein reger Austausch in dieser Grenzregion. Als wir unseren Wagen geparkt hatten, reihten sich Busse aneinander, die die georgischen Saisonarbeiter zu türkischen Städten an die Schwarzmeerküste fahren. Männer und Frauen warteten kauernd auf dem Gehweg, neben sich ihre Sachen in Koffern, Taschen und Tüten. Sie kommen mit einem Dreimonats-Visum in die Türkei und arbeiten dort in verschiedenen Berufen, unter anderem bei der Teeernte.

Onkel Sinan, ein Großcousin meines Vaters hat drei Männer, die immer zu ihm kommen, bei ihm wohnen, während den Sommermonaten mit ihm leben, ihm sogar das Winzern auf die spezielle georgische Weise beigebracht haben, wobei der Wein in Tonkrügen unter der Erde begraben wird. Tagelöhner, wobei sie  für die dortigen Verhältnisse nicht schlecht verdienen. Es sind um die 100 Lira pro Tag, das entsprach in dem Sommer 30 Euro. Vor Ort haben sie keine weiteren Ausgaben, außer Zigaretten, sofern sie rauchen, aber die meisten rauchen. Essen und die Unterkunft ist kostenlos. Und wenn Sinan nicht viel zu tun hat, wenn seine Teeplantagen geerntet sind, pflücken sie Tee für andere. Damals, als ich meine Eltern im Dorf besucht hatte, hatte mein Vater die Männer für eine Woche im Einsatz. Sie schliefen zwar nicht bei uns, aber das Essen hatten wir zubereitet.

Hier warteten sie hockend auf dem Trottoir auf den Bus. Frauen kommen häufiger, um als Krankenschwester und Pfleger in privaten Haushalten zu arbeiten. Verwandte von mir hatten für ihre gebrechlichen Eltern eine georgische Krankenpflegerin organisiert. Es zerbrach mir das Herz, diese Menschen hier zu sehen. Manche hatten ihre Kinder dabei. Erinnerungen schossen hoch. War ich doch ebenfalls das Kind eines Arbeiters in einem fremden Land. Und wer weiß, wie viele der Menschen rastlos hin und her pendeln werden, so wie ich? Sie haben es wenigstens nicht sehr weit.


Batumi, Blick vom Restaurant am Hafen


Unser Taxifahrer jedenfalls war ein türkischer Bürger, der hier in Georgien lebte, der hier arbeitete, hier eine Wohnung und ein Haus gekauft hatte. Er bezog seine Rente aus der Türkei und lebte damit in Batumi, wie er sagte, viel besser, weil sein Geld mehr wert wäre. Seine Söhne und eigentlich seine ganze Familie waren ebenfalls nach Georgien gezogen.
So fuhr er uns in die Stadt, erzählte von den gewagten Bauprojekten der Investoren, die aus Batumi ein Las Vegas der Region machen wollten. Und in der Tat waren so einige merkwürdige Bauten darunter, unter anderem ein Haus, das auf dem Kopf stand. Er setzte uns in der Nähe des Hafens ab, wo sich die Altstadt befand. Und prompt landeten wir in der „Klein-Türkei“. Lauter Dönerläden, türkische Restaurants, türkisch sprechende Touristen, die genauso hungrig wie wir waren und weil nicht jeder aus meiner Familie so experimentierfreudig ist, landeten wir in einem der türkischen Restaurants.

Vermutlich war auch hier wie in anderen fremden Ländern, in denen sich die Restaurants dem Geschmack der jeweiligen Gaumen anpassen, das Essen etwas fad, weil insgesamt zu wenig Gewürze im Fleisch und der Suppe. In der, die ich bestellt hatte, war definitiv zu wenig Knoblauch und Chili. „Kelle paça“, eine Spezialität aus gekochtem Rindskopf, verträgt eine ordentliche Portion Knoblauch und sie darf ebenfalls recht scharf sein. Das Fleisch war allerdings sehr gut. Es war lange im Sud gekocht worden und zerfiel auf der Zunge, so wie es sein musste. Später, als der Hunger gestillt war und wir mehr von der Stadt gesehen hatten, kehrten wir in einem sehr schön gelegenen großen Restaurant direkt an einem kleinen Hafen ein. Wir ärgerten uns, denn hier hätten wir die Möglichkeit gehabt, typische georgische Gerichte zu probieren. Aber wir haben dort Bier und Brause getrunken.




Es gab nicht viele Gäste. Ein paar türkische Touristen wie wir. Die Altstadt war teilweise in türkischer Hand. Überall lateinische Buchstaben mit türkischen Hinweisschildern. Darüber hinaus Blockwohnhäuser aus der Sowjetzeit. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie schön fand, auf jeden Fall bemerkenswert. Vier bis sechs Stockwerke hoch, eine Batterie an Wohnungen. Zur Straße hin Balkone. Das Bemerkenswerte war jedoch, dass die Fassade jeder Wohnung anders gestrichen oder anders ummantelt war. Bei einigen war es ein einfaches Wellblechkonstrukt, andere hatten eine Holztäfelung, wieder andere hatten ihren Wohnungsbereich bunt gefärbt, so dass für den Betrachter ein wilder Flickenteppich entstand. Zwischen zwei Blocks über die Straße hingen Wäsche an einer Leine. Etwas weiter sah man die Neubauten, Hotel und Spielhalle in einem. Diese lagen näher am Meer. In einer kleinen Straße war ein Bauernmarkt aufgebaut. Darin fanden sich kleine Mengen Obst und Gemüse; etwas weiter hatte ein Bierbrauer ein großes Bierfass auf einen Holzkarren gestellt und verkaufte sein Selbstgebrautes; ihm gegenüber ein Tabakbauer, der loses Rauchwerk feilbot. Zugegeben ungewöhnlich, zumal die Zigaretten hier nicht besonders teuer sind. Diese sind neben Alkohol Schmuggelgut Nummer zwei, die hier gekauft und auf der anderen Seite, in der Türkei, wo es eine hohe Alkohol-/ und Tabaksteuer gibt, weiterverkauft werden.
Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu und wir machten uns auf den Weg zurück zur Grenze. Nur waren wir sieben Personen und benötigten ein Großraumtaxi oder zwei Taxen. Am Stand wartete nur ein Wagen, ein sehr alter Mercedes, allerdings sehr gut gepflegt. Der junge Fahrer stieg aus und war der Meinung, er würde uns alle in den Wagen hineinbekommen. Wir mussten ihm nur mehr Geld geben, weil wir das Geld für das zweite Taxi ja sparen würden. Wir einigten uns auf den Preis und quetschten uns in den alten Benz. Vorne zwei, hinten drei nebeneinander und der Rest quer über die drei. Und als wir wie die Sardinen in der Büchse losfuhren, holte unser Fahrer von der Sonnenblende eine Ausflugskarte und meinte scherzhaft, ob wir nicht Interesse hätten, in die Berge zu fahren. Da lagen wir wirklich gequetscht übereinander und Schweiß floss in Schweiß über, doch den Witz fanden wir gut und lachten, soweit wir Luft holen konnten.


Blick aus dem überfüllten Mercedes auf der Rückfahrt


Die Grenze war furchtbar. Schon morgens, als wir rüber nach Georgien laufen wollten, hatte es uns zwei Stunden gekostet, weil, so die offizielle Entschuldigung, ein Computersystem ausgefallen sei. Wir standen dann stundenlang in der Sonne und warteten darauf, aus der türkischen Seite herausgelassen zu werden. Abends erwartete uns ebenso eine unglaubliche Schlange, die zum Teil durch die Baustelle verschuldet war, denn die türkische Seite hatte eingesehen, dass der Grenzübergang jetzt schon zu kollabieren drohte. (Also wird umgebaut und vergrößert.) Durch einen engen dunklen Korridor, unzählige Menschen zusammengepfercht, wo nirgends ersichtlich war, wo der Ausgang oder die Schalter waren, wodurch wir hinmussten – das jagte einem schon Panik ein. Dann eine totale Unruhe, vorne schrien die Polizisten, „Frauen und Kinder zuerst, Frauen und Kinder nach vorne“.

Schon drängelten sie von hinten, meine Schwester war am Rande einer Panikattacke. Wir, drei Frauen und zwei Kinder trennten uns vom Schwager und Bruder und liefen mit anderen Frauen und deren Kindern am engen Korridor entlang zwischen Massen von Männern zum Grenzhäuschen. Polizisten zogen die Kinder an einer kleinen Mauer hoch, denn durch die Baustelle kamen wir erst jetzt ins Hauptgebäude hinein. Drinnen Scangeräte für die Taschen und ebenfalls Schlangen. Doch die Beamten waren flott und haben uns durchgewunken. Es roch nach Alkohol, der irgendwo in dieser Halle kaputtgegangen war, vermutlich nicht gut verpackte Schmuggelware. Endlich hatten wir diese Odyssee hinter uns gebracht, trafen uns auf dem Parkplatz, doch wir mussten das Erlebte erst mal in aller Ausführlichkeit besprechen. Denn so machen das die Leute in der Türkei. Es wird sehr häufig darüber gesprochen. Meine Schwester dramatisierte heftig in ihren Erzählungen. Zugegeben; es war eng und unangenehm, aber das ist in einem überfüllten Rockkonzert nicht anders. Und immer, wenn sie anfing zu erzählen, dachte ich, wo war ich denn, als diese schrecklichen Dinge passierten. 

Und zum Schluss das berühmte Volkslied über Batum.








Der Weg ist immer das Ziel

Am nächsten Tag, kurz vor der Abreise, sind wir zu den drei konischen Grabstätten (Kümbet) gegangen, die aus der Zeit der Seldschuke...