Von Amasya machten wir uns auf den Weg nach Sinop, doch
unterwegs hatten wir noch ein paar weitere Orte und Sehenswürdigkeiten vor uns.
Im Auto hörten wir immer abwechselnd die Lieder, die mit Hayde anfingen, denn
das war das Opening, wenn wir nach einem längeren Aufenthalt wieder losfuhren.
Dann wechselten die Lieder wieder unter uns Erwachsenen, während die Kinder
beharrlich bei ihren wenigen blieben. Neulich telefonierte ich mit meiner
Schwester, die mir erzählte, ihre Tochter Zeynep hätte sie angesprochen, dass
sie schon so lange keinen Ed Schareen – Song mehr gehört hätte. Diese Reise
hatte also bei den Kindern ebenso tiefe und fortbleibende Erinnerungen
hinterlassen.
Im Auto saß ich hinten links, hinter dem Fahrer. Ich hatte
einen Vorzugsplatz, sagte aber nichts. Und so konnte ich meinen Blick auf dem
türkisfarbenen Meer weilen lassen, soweit mein Auge reichte. Wir fuhren an der
Schwarzmeer-Küste entlang, von Westen nach Osten. Im Horizont vermischten sich
die blauen Farben, die des Meeres mit denen des Himmels. Warum nannte man
dieses lieblich funkelnde Azur das Schwarze Meer? Das machte keinen Sinn, denn
hier war nichts schwarz. Die Fläche vor mir war changierend, in den Tiefen
dunkel, zur Bucht hin ein bezauberndes Türkis, das ich von Karibik-Fotos
kannte. Wellenlos lag es da, während wir an den steilen Küstenhängen entlang,
mal auf mal ab, fuhren. Ab und zu hielten wir an um zu fotografieren, doch die
Fotos waren nicht in der Lage das wiederzugeben, was das Auge sah. Dieses Meer
sollte uns noch lange begleiten, zunächst bis nach Zonguldak.
Infos zu Zonguldak:
Kultur und Geschichte Zonguldag
Reiseführer Zonguldag
https://de.wikipedia.org/wiki/Zonguldak_(Provinz)
Infos zu Zonguldak:
Kultur und Geschichte Zonguldag
Reiseführer Zonguldag
https://de.wikipedia.org/wiki/Zonguldak_(Provinz)
Zonguldak hatte ich zuletzt in meiner Kindheit besucht, in
einem Dampfzug, in Begleitung meines Onkels Ensar, der eine Sauberkeitsmanie
hatte. Er hatte mich prompt beschimpft, weil ich mich mit meiner weißen Hose
einfach so im Zugabteil auf eine Sitzbank gesetzt hatte. Er hingegen hatte sein
großes Stofftaschentuch aus der Hosentasche geholt, um das Sitzpolster zu
putzen. Aus dieser Stadt konnte ich nur diese eine Erinnerung mitnehmen. Etwas
Besonderes gab es dort nicht. Ein kleiner Hafen und ein Bahnhof mit den
rauchenden Dampfzügen.
Zonguldak, 1977; Quelle: Internet (eski Fotograflar) |
Diese Züge waren leider verschwunden. Auf den Gleisanlagen
von damals wuchs Gestrüpp und Gras. Der alte Hafen lag in einem
Dornröschenschlaf. Alte Fischerboote schaukelten hin und her. Die Altstadt war
klein mit engen Gassen, wo Handwerker nach wie vor ungestört von der Moderne
oder besser noch, die Moderne ignorierend ihr Handwerk ausübten. Dazwischen
kleine Teehäuser, wo sie sich auf einen Plausch trafen. Die Häuser schief, klein,
manche ungeputzt oder der Putz bröckelig. Wir fuhren nicht hinein, denn da
sollte man zu Fuß hingehen, um die Atmosphäre mitzubekommen. Doch die Kinder
hatten Hunger, es war ein unglaublich heißer Tag. Wir machten Halt an einer
breiten Straße, etwas entfernt in der Neustadt, die sich auf die umliegenden
steilen Hügel ausdehnte. Früher waren dort höchstens ein paar Bergdörfer,
soweit ich mich erinnern konnte. Aber, ich konnte auch ohne große Erinnerung
sehen, dass die Bauten an den Berghängen neueren Datums waren. Die typische
lieblose Architektur, die nicht mal einen richtigen Namen hat. Aber, wenn man
mal in der Türkei gewesen ist, weiß man, was ich damit meine. Es ist dann egal
in welcher Stadt man ist, denn diese Häuser sehen überall gleich aus.
Wir verließen das Stadtzentrum in Richtung Tropfsteinhöhlen,
die unser nächstes Ziel werden sollten. Bevor ich von der Höhle berichte, muss
ich eine kleine Anekdote loswerden, die uns im Auto erheiterte. Als wir aus der
Stadt hinausfuhren, sahen wir ein Hinweisschild zu den Tropfsteinhöhlen Gökgöl.
Man muss sich diese Stadt, auch wenn sie in den letzten Jahren durchaus größer
geworden mag, nicht so vorstellen, dass man darin verloren gehen kann. Es gibt
dort eine Hauptstraße, eher eine Landstraße, die durch die Stadt hinein- und
wieder hinausführt. So hatte uns dieses Hinweisschild darauf hingewiesen,
weiter zu fahren, was wir auch eine Weile taten. Als kein weiteres Schild zu
sehen war, beschlossen wir, jemanden nach dem Weg zu fragen. Wir näherten uns
einem älteren Mann, der uns dann freundlich und überschwelgend Auskunft gab.
Laut seiner Aussage waren wir ganz nah dran, nur 300 Meter noch und dann auf
der linken Seite würden wir den Eingang sehen können. „Und bitte, besuchen Sie
auch unser Museum für Kohleabbau!“, empfahl er uns, vermutlich weil er den
großen Teil seiner Jugend im Bergbau gearbeitet hatte. Zonguldak ist einer der
Städte, in der bereits sehr früh Kohle abgebaut wurde. Hier wird Kohle
„schwarze Perle“ genannt und einige der Zechen sind nach wie vor aktiv. Hinzu
kommt, dass ein in der Türkei sehr berühmter Film ebenfalls hier gedreht wurde.
Wir sprachen darüber im Auto, während wir weiterfuhren, doch auch nach
gefühlten 1000 Metern war keine Höhle zu sehen. Wir hielten an und fragten
einen anderen Mann am Straßenrand. Er bestätigte die Richtung, nur müssten wir
knapp zwei Kilometer weiterfahren, erst dann käme die Einfahrt zur Höhle. Wir
hielten uns genau an die Aussage des Mannes, doch kein Zeichen von der
versprochenen Höhle. Wir hielten abermals an und fragten erneut einen
Passanten. Auch er sagte, wir wären richtig, nur müssten wir noch etwa 800
Meter weiterfahren. Schlussendlich fanden wir die Höhle, aber wir lachten über
die Angaben der Entfernungen.
Die Tropfsteinhöhlen waren erst letztes Jahr für Besucher
geöffnet worden. Vor dem Eingang hatten wir ein Café erwartet, was es so nicht
gab. Eine portable Toilette, die zu einer permanenten umgewandelt wurde,
allerdings sehr unbrauchbar war (weitere Details erspare ich an der Stelle).
Etwas abseits stand ein schief zusammengezimmerter Tisch mit zwei ebenso
schiefen Sitzbänken, worauf zwei große Flaschen Cola standen. Zwei Männer saßen
da und beobachteten uns. Wir fragten sie, ob es etwas Größeres gäbe, ein Café
oder etwas Ähnliches, doch beide verneinten. Sie seien noch nicht so weit. Die
Höhlen könnten wir besichtigen, und wenn wir wollten, könnten wir auch kurz bei
ihnen Platz nehmen. Sie würden dann aufstehen. Wir bedankten uns und liefen
direkt auf den Eingang der Höhle zu. Der ältere stand auf und begleitete uns
ca. 50 Meter. Dann blieb er vor uns stehen und beäugte uns streng ob der
sommerlichen Bekleidung. „Da drinnen ist es sehr kalt. Die Kinder sollten
wenigsten etwas zum Anziehen mitnehmen“, empfahl er. Wir liefen zum Auto zurück
und nahmen Strickjacken mit, wobei ich mir in diesem Moment, bei 40 Grad im
Schatten, keine Kälte vorstellen konnte. Ich habe sogar an die typisch
türkische Übertreibung gedacht, wenn es um Kälte geht. Doch es gab eine
spürbare Klimaänderung, die etwa 20 Meter entfernt des Einganges zu spüren war.
Die feuchte Kälte strömte uns entgegen wie ein kalter Atem. Da zogen wir eilig
die Jacken an.
Da die Höhle neu eröffnet wurde, waren wenig Besucher da. So
wurden wir vom Ticketverkäufer freundlich empfangen. Er gab uns Helme, denn an
manchen Stellen hing die Decke richtig tief. 1,6 km sei der Weg lang, auf den
wir uns begaben. Vorher ließen wir uns von ihm noch am Eingang
fotografieren.
Die Tropfsteinhöhle selbst ist insgesamt 3350 Meter lang.
Die ersten 800 Meter sind begehbar, durch aufgeschüttete Wege und Brücken, die
teilweise über einen unterirdischen Bach führen. Eine Landschaft wie aus einem
Film, vermutlich auch durch die Beleuchtung diesen Effekt gewinnend, eine
Zauberwelt, die teilweise an das innere eines Lebewesens erinnert, wo wir
Organe zu sehen glaubten, ein rotes Herz, zwei blaue Lungenflügeln, teils
allerdings an etwas überirdisches, eines Planeten in einer fremden Galaxie, mit
Säulen und alleinstehenden Figuren in einer kahlen Steinwüste. Wir waren fast
alleine unterwegs, und das beflügelte unsere Fantasie vermutlich umso mehr,
weil wir ungestört darin flanieren konnten. Der Weg ist kein Rundgang, so dass
wir bis zum Ende des Weges gingen, der auf einer Erhöhung endete, an einen Berg
mit einer Aussichtsplattform erinnernd. Von da aus konnten wir ins tiefe Dunkle
hineinblicken, wohin der weitere Verlauf der Höhle lag.
- Volkslied aus der Gegend Zonguldak -
- Volkslied aus der Gegend Zonguldak -
Nach dem Besuch der Höhlen setzten wir unsere Reise fort.
Dieses Mal nicht am Meer entlang, sondern durch die Berge und Wälder, durch
einen Nationalpark mit dichten, grünen Laubbäumen und scharfen Serpentinen, die
ein Überholen unmöglich machten. Der Weg erforderte vom Autofahrer die volle
Aufmerksamkeit, die Insassen wie mich begeisterte das Laubgrün der Bäume. Es
war alles so unglaublich dicht, dass ich nie das Braune der Stämme oder der
Äste sah. Wir fuhren lange durch diese irre Landschaft, wo keine menschliche
Behausung zu finden war, nicht mal eine Tankstelle. Wir waren in der Wildnis,
woran uns die Warnschilder nach Bären erinnerten. Es ist also wahr, wenn die
Menschen aus Kastamonu in ihrem groben Dialekt „Vorsicht, es kann dir ein Bär
begegnen“ sagen. Nun, wir sind hier in den Bergen von Kastamonu, wo tatsächlich
Bären leben. Aber, wir sind ja im Auto unterwegs und halten wollen wir hier
auch nicht.
Ich habe Dich als jemand mit einer Neigung zu schöner Sprache kennengelernt. Ich verschlinge diesen Reisebericht und kann kaum die Fortsetzung erwarten. Wunderbar!
AntwortenLöschenHJH.
Vielen Dank! Das freut mich sehr. Die Reise geht natürlich weiter. Weiterhin viel Spaß beim Lesen.
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