Jason Kapelle in Ordu |
Es wurde spät, wir hatten die Verzögerungen aufzuholen. Die Nacht war in Ordu geplant, doch der Weg bis zu diesem Küstenort war weit. Wir fuhren nun entlang der östlichen Schwarzmeerküste. Obwohl das gleiche Meer, war hier das Liebliche weg. Hier hatten wir einen Temperatursturz von gefühlt 20 Grad. Es regnete. Ein Gefühl von Heimat ergriff mich und sagte mir innerlich „das ist das tatsächliche Schwarzmeer, eben, da wo das Meer dunkel ist.“
Blick aus dem berühmten Teehaus "uzun saclinin yeri" |
Ordu war noch sehr weit. Wir fuhren durch Samsun, die berühmte
Stadt, wo Atatürk mit seinem Schiff ankam, um die Bevölkerung für den
Widerstand gegen die Siegermächte zu mobilisieren. Das wurde uns in der Schule
beigebracht. Der 19. Mai ist ein nationaler Feiertag, zu Ehren dieser Landung
in Samsun. Die Stadt ist keinen Besuch wert, beschlossen wir. Denn wir waren
schon mal da. Meine Eltern lebten eine zeitlang hier, als meine jüngste
Schwester hier studierte. Eine breite Straße an der Küste, die Hauptstraße, die
wir von Westen nach Osten durchfuhren. Was gibt es sonst darüber zu erzählen?
Mir fällt nichts ein. Eine alte Trabantenstadt, die viele aus anderen Gegenden
der Türkei anzog. Hier wurden staatliche Fabriken gebaut.
Es war bereits sehr spät, als wir in Ünye ankamen, ein
kleines Städtchen auf dem Weg nach Ordu. Wir telefonierten vorher mit Hotels
und reservierten zwei Zimmer direkt in der Stadt. Die Zimmer waren sauber. Wir
hatten zwei große Betten darin, einen orientalischen, üppig gerafften
Samtvorhang und ein geräumiges Bad mit Dusche. Die Städte an der östlichen
Schwarzmeerküste bekommen vermehrt Touristen aus dem arabischen Raum. Dazu
passen auch diese hohen Betten mit Gold durchzogenem Bettüberwürfen und der
Vorhan.
Unser Abendessen war hingegen sehr bescheiden. Ein berühmtes
Restaurant der Stadt, wo uns eine traditionelle Küche erwartet hätte, hatte
bereits geschlossen. Es war zwar erst neun Uhr, aber dieses Restaurant nahm
keine neuen Gäste mehr auf.
Wir hatten Hunger, so ließen wir uns in einem Imbiss nieder.
Auf kleinen Tischen und Stühlen vor dem winzigen Laden, worin der Koch uns
Dürüm servierte. Dürüm sind kleine Fleischstücken, die in sehr dünnes
Fladenbrot eingerollt werden, ähnlich wie Wraps.
Später machten wir einen Spaziergang. Es nieselte leicht,
von irgendwoher kam Livemusik. Auf einem Platz waren kleine Hütten aufgestellt.
Eine Band spielte auf der Bühne, Menschen schlenderten entlang der Hütten oder
tanzten vor sich hin. Es war eine Schlussveranstaltung von Ramadan-Festivitäten, die im Fastenmonat abends
in den Städten stattfindet. Es ist dann ähnlich wie Weihnachtsmarkt in
Deutschland, mit kleinen Buden, wo Künstler ihre Handwerkserzeugnisse
ausstellen und verkaufen. Diese Hütten gehören der Stadt. Sie sind genormt,
alle gleich. Der Mieter schmückt sie nach seinem Geschmack. Neben Handwerkschmuck
gibt es Essensstände und eine Bühne für Musik. So wird im Fastenmonat das
gesellschaftliche Leben auf die Abend-/ und Nachtstunden verlegt. Nach dem
Sonnenuntergang gehen sie raus, alle miteinander. Oft gibt es für Kinder ein
Karussell oder andere Fahrmöglichkeiten.
Dieser Platz hier war umzäunt von einer portablen Mauer, der
zwei Eingänge hatte. Wir wurden beim Hineingehen kontrolliert. Der Eintritt war
kostenlos. Der Ramadan war zwar schon vorbei, aber dieser Festplatz war noch
nicht abgebaut. Aber das wunderte hier niemanden. Wir gingen die Stände durch
und tanzten zur Musik, bis die Kinder müde waren und ins Bett gehen wollten.
Den Rückweg ins Hotel nahmen wir über die Strandpromenade und spazierten dort,
wo Cafés und Restaurants noch geöffnet waren, wo wir das Meer zwar nicht sehen,
aber umso deutlicher hören konnten. Im Hotel gingen die Geräusche der Straße in
den Regen über.
Das berühmte Lied "Hekimoglu", gleichnamiger Held, der nach der Legende zwischen Ünye und Ordu erschossen wurde. Dieses Lied war unter anderem eines der Musikstücke, die uns im Auto begleiteten. Hier habe ich eine Interpretation von Paul Dwyer, der das Lied mit Gitarre begleitet.
Diese Version ist eher eine traditionell.
Der nächste Tag brachte uns nach Ordu, wo wir eigentlich
übernachten wollten. Das Wetter war deutlich kühler als beim Start unserer
Reise. Das Schwarze Meer begleitete uns silbrig. In Ordu selber gab es wenig zu
sehen, also beschlossen wir, mit der Seilbahn in die Berge zu fahren. So saßen
wir in einer kleinen Kabine, fuhren über die Häuser der Stadt, über Dächer und
Minaretten hinaus, bis wir alles hinter uns ließen und um uns herum das Grün
herrschte. Nur das Wetter hatte hier nicht mitgespielt. Es regnete, als wir aus
der Gondel ausstiegen. Nebel herrschte, der Blick kaum 50 Meter weit. Wir
machten einen kleinen Spaziergang bis zum Restaurant, kauften vom Händler
handgemachte Zwillen für die Kinder. Im Lokal herrschte große Betriebsamkeit.
Es war ein riesiger Laden auf zwei Etagen am Hang, große Fensterfront mit Sicht
auf die unter uns liegende Stadt, nur dass wir heute nichts sehen würden. Neben
uns überall Touristen aus dem arabischen Raum, mit allen Familienmitgliedern
und vielen Kindern. Link:
https://www.teperestaurant.com/
Sicht über Ordu aus der Gondel |
Die Türken sind verrückt nach Kindern, auch wenn die Männer,
die hier bedienten, sehr viel zu tun hatten mit den Bestellungen; eine nette
Geste oder ein freundliches Wort, eine streichende Hand über das Köpfchen eines
lächelnden Kleinkindes oder ein Kniff an der dicken Backe eines Babys beim
Vorbeigehen. Es ist fast so, als würden sie das intuitiv tun, als wäre das dazu
gehörig, wie das Begrüßen der Erwachsenen, eben als spezielle Anrede für
Kinder. Aus Deutschland kennt man das nicht und wer jetzt unangenehme Gedanken
hat, dass sein Kind von Fremden betätschelt wird, dem kann ich versichern, dass
diese Leute selber Kinder haben und dass es eben zur Kultur des Landes gehört,
den Kindern große Aufmerksamkeit zu schenken. So wurde meine Tochter als Baby
von jedem berührt oder angelächelt. Nun ist sie groß, sie wird nicht mehr
angefasst, sie wird jetzt wie eine Erwachsene behandelt und gefragt, was sie
essen möchte.
Ordu Teleferik istasyonu |
Wir bestellten typische Gerichte aus der Region, die ähnlich
schmecken wie aus meiner Heimat, die etwa 300 km weiter östlich liegt, wohin
wir anschließend unsere Reise fortgesetzt haben. So kurz vor dem Ziel, unserem
Dorf, war die Stimmung im Auto heiter und aufgeregt. Kinder fragten, wann wir
ankämen. Die Lieder wurden nur noch aus der Region ausgewählt. Doch wir machten
noch einen Halt in Giresun, um zuerst die alte Burg zu besichtigen und
anschließend die berühmten Viertel der Stadt mit den historischen Häusern.
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